Versorgung des EEK

Unterschiedliche Verfahren zur Erlangung von Kontinenz

Eine Operation in den ersten 24 bis 72 Stunden wird zwar von vielen kinderurologischen Zentren befürwortet, dies rechtfertigt jedoch nicht eine vorschnelle dezentrale Versorgung. Eine zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführte Primärkorrektur, z.B. nach 2-3 Monaten, beeinflusst das operative „Outcome“ nach heutigem Kenntnisstand nicht.
Daher sollte postnatal die Zuweisung an ein Zentrum erfolgen, welches im Umgang mit dem Blasenekstrophie-Epispadie-Komplex ausreichende Erfahrung besitzt. Wenn dies aufgrund großer Distanzen nur durch eine längere Trennung zwischen Mutter und Kind durchgeführt werden kann, so sollte die Verlegung gemeinsam zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden. Ein früher postuliertes erhöhtes Risiko für rasch eintretende Pyelonephritiden besteht nicht, da der Harnabfluß in der Regel nicht gestört ist. Die Ergebnisse einer missglückten primären Korrektur reichen von einer bleibenden Inkontinenz über iatrogen, durch sekundär verursachten Harnaufstau entstehende Nierenschäden, bis hin zu schweren, irreparablen kosmetischen und funktionellen Verstümmelungen des Genitale. Grundsätzlich und historisch gibt es mehr als nur eine Alternativen für die operative Behandlung der Blasenekstrophie.
Stein und Thürhoff haben 2002 die unterschiedlichen Behandlungsstrategien zusammengefasst und schematisiert. Dabei haben Sie bei der Korrektur von Patienten mit Blasenekstrophie 3 Ziele formuliert, die bei der Planung der Rekonstruktion unbedingt berücksichtigt werden müssen.
1. Stabile Nierenfunktion bei freiem Harnabfluß
2. Harnkontinenz nachts und tagsüber
3. Normale Sexualität und Schwangerschaft

Primäre Harnableitung mit Blasenverschluss und Blasenhalsrekonstruktion

Initial erfolgt der Verschluss des Bauchwanddefektes mit Schaffung einer Harnblase aus der bestehenden Blasenplatte. Zugleich erfolgt, wenn möglich, zur Erleichterung des Blasenverschlusses, die Annäherung der Schambeinfugen. Bei Vorliegen einer erheblichen Diastase der Schambeinfuge wird in manchen Zentren eine Beckenosteotomie durchgeführt, um die Schambeine einander besser angleichen zu können.
Trotzdem kommt es mit dem weiteren Wachstum häufig erneut zu einer Diastase. Außerdem spielt der Symphysenabstand bei der Genitalrekonstruktion eine wichtige Rolle, da dadurch die Gliedlänge beeinflusst wird. An manchen Zentren wird bereits initial versucht, einen künstlichen Blasenhals zu schaffen, der dann später für eine passive Kontinenz sorgen soll. Andere Zentren führen zu einem späteren Zeitpunkt, abhängig von der in Narkose bestimmten Blasenkapazität, in einer zweiten Sitzung die Blasenhalsrekonstruktion und eine beidseitige Harnleiterneueinpflanzung durch. Auch der Zeitpunkt der Rekonstruktion der Epispadie bei männlichen Patienten, wird in Abhängigkeit der an einem Zentrum zugrunde liegenden Erfahrungen initial oder erst im Alter von 2 ½ – 5 Jahren durchgeführt (Gearhart und Jeffs, 1998). In den vergangenen Jahren hat besonders Mitchell das Konzept der initialen kompletten Rekonstruktion (Blasenverschluss und Genitalrekonstruktion) propagiert und plädiert für die komplette Rekonstruktion innerhalb der ersten Lebenswoche (Grady und Mitchell, 1999). Diese birgt jedoch erhöhte Risiken für sekundäre Komplikationen bei der Genitalrekonstruktion. Aufgrund dieser erhöhten Risiken die vom partiellen bis hin zum kompletten Penisverlust reichen, hat sich aktuell wieder der Trend zu einer mehrzeitigen Rekonstruktion mit Korrektur des Genitale in einer späteren Operation ausgebreitet (Husmann und Gearhart, 2004).

Im Falle einer Blasenhalsinsuffizienz, kann eine Revision im Alter von 4 Jahren notwendig werden. Bei einer sich restriktiv verhaltenden Blase, die nach Aufbau der Blasenhalsplastik nicht wächst und eine verminderte Compliance zeigt, kann es notwendig werden, die Harnblase durch Darmgewebe, vorzugsweise Dünndarm, zu augmentieren. Eine gängige Möglichkeit stellt die Anlage eines Mitrofanoff-Stomas dar. Bei guter Blasenkapazität kann auch allein die Anlage eines solchen Stomas ohne Augmentation nur zur Kontinenzgewinnung erfolgen. Die Kapazität der Harnblase wird durch Dünn- oder Dickdarm erweitert. Für die das zu katheterisierende Stoma wird zumeist die Appendix verwendet, welches zwischen augmentierter Blase und Bauchwand interponiert wird. Sollte die Appendix nicht verwendbar sein oder bereits fehlen, so kann man auf ein ausgeschaltetes Segment eines Harnleiters, oder am besten auf ein Dünndarmsegment zurückgreifen. Bei Frauen könnte man alternativ auf eine der beiden Ovarialtuben zurückgreifen. Generell wird die Frage nach der weiteren operativen Strategie bei fehlgeschlagener primärer Operation kontrovers diskutiert (Gearhart et al., 1993; Stein et al., 1999).

Harnableitungen

An vielen Zentren wird die Harnableitung nicht sekundär, d.h. als Ausweichmöglichkeit nach missglückter primärer Harnableitung gesehen, sondern als bevorzugte Alternative. Bei der Harnableitung bieten Darmsegmente ohne Verwendung von ursprünglichem Blasengewebes den Vorteil des Schutzes des oberen Harntraktes bei zuverlässiger Kontinenz ohne Einschränkung der körperlichen und sozialen Aktivitäten. Durch die Reabsorption von harnpflichtigen Substanzen über die intakte Darmschleimhaut der mit Urin in Kontakt tretenden Darmsegmente, kommt es zur azidotischen pH-Verschiebung im Blut. Zudem besteht im Anastomosenbereich zwischen Ureteren und Darm ein erhöhtes Malignomrisiko. Aufgrund der Stoffwechselveränderungen im Blut und des erhöhten Malignomrisikos sind entsprechende lebenslange Verlaufskontrollen notwendig (Fisch et al., 1993; Stein et al., 1995b). Die am häufigsten eingesetzten Harnableitungen sind der Sigma-Rektum-Pouch (Mainz Pouch II), der Illeozökal Pouch (Mainz Pouch I) und das Kolon Konduit. Bei Patienten mit unauffälligem oder mäßig dilatiertem oberen Harntrakt, normaler Nierenfunktion und kompetentem analen Schließmuskel wird die Anlage eines Mainz Pouch II empfohlen. Hierbei wird das Rektosigmoid über eine Länge von ca. 20 cm längs eröffnet, die Harnleiter in den submukösen Tunnel antirefluxiv implantiert und das eröffnete Rektosigmoid zu einem Pouch rekonstruiert. Bei erweiterten Harnleitern werden diese in einer modifizierten Methode antirefluxiv implantiert (Fisch et al., 1996). Folgende Vorraussetzungen müssen bei allen Operationen mit Ableitung des Urins in den nicht isolierten Enddarm erfüllt sein: Der Patient muss Probeeinläufe vor der Operation über Stunden halten können. Für Patienten, die Schwierigkeiten haben, Flüssigkeit im Rektum zu halten und eine gute Nierenfunktion besitzen, stellt der Mainz Pouch I eine Alternative dar. Hierzu werden ca. 24 cm Dünndarm und 12 cm Dickdarm aus der Darmkontinuität ausgeschaltet. Diese werden längs eröffnet und zu einer Pouchplatte vernäht. Die Harnleiter werden antirefluxiv implantiert und die Appendix, wenn noch vorhanden, als Kontinenzmechanismus an den meist neu zu bildenden Nabel angeschlossen. Ist die Appendix nicht vorhanden, so kann der Kontinenzmechanismus aus einem weiteren Stück Dünndarm gebildet werden.
Eine alternative Ableitung stellen der Indiana Pouch, Ileozökalpouch, Dünndarmpouch (T-Pouch) und Dickdarmpouch (Transversum- /Descendens-/ Ascendenspouch) dar.

Für alle kontinenten Harnableitungsverfahren gilt, dass die Nierenfunktion nicht dekompensiert sein darf, da sonst die im Dickdarm resorbierten Urinbestandteile zu einer schwere Azidose und ansteigenden Serumkreatininwerten führen können (Thürhoff et al., 1988). Bzgl. der Nachsorge von Patienten mit Harnableitung unter Verwendung von Darmsegmenten gibt es heutzutage genaue Richt- und Leitlinien welche durch die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich medizinischen Fachgesellschaft (AWMF-Nr. 043/024 / Quelle Der Urologe A) erstellt wurden. Bei Patienten mit gestauten Nieren und eingeschränkter Nierenfunktion empfiehlt sich die (vorübergehende) Anlage eines inkontinenten Konduits. Diese kann nach Erholung der Nierenfunktion und des oberen Harntrakts in eine kontinente Form der Harnableitung umgewandelt werden. Zur Bildung des Kolon Konduits werden ca. 12 cm Sigma/Colon descendens ausgeschaltet. Die Harnleiter werden im proximalen Anteil implantiert und das distale Ende des Konduits wird im rechten Unterbauch durch die Haut nach außen abgeleitet. Der Urin fließt kontinuierlich in einen nach außen hin dichten Beutel.

Das Prinzip zur Bildung eines Ileumkonduits gleicht dem eines Kolonkonduits. Auch hierbei werden die beiden Harnleiter antirefluxiv in ein etwa 10-15 cm langes, ausgeschaltetes Ileumsegment implantiert, über welches der Urin dann in einen nach außen hin dichten Beutel abfließen kann.
Die direkte Ausleitung der Ureteren aus der Haut (Ureterokutaneostomie) birgt häufig das Risiko einer Stenosierung, welche dann einer permanenten Schienung des Stomas mit einem Katheter bedarf (Stein et al., 1996; Übelhör, 1952).

Künstlicher Schließmuskel nach primärem Verschluss

Ein künstlicher Schließmuskel besteht aus einer Kunststoffmanschette, die um die Harnröhre oder den Blasenhals gelegt wird. Diese wird über eine Pumpe gesteuert, die im Scrotum des Mannes oder der Schamlippe der Frau platziert ist. Die für die Funktion notwendige Flüssigkeit befindet sich in einem Ballon, der in der Bauchhöhle platziert ist. Im aktivierten Zustand ist die Manschette mit Flüssigkeit gefüllt und drückt damit auf die Harnröhre bzw. den Blasenhals und verhindert einen unwillkürlichen Urinverlust. Durch Bedienung der Pumpe im Scrotum/Schamlippe wird die Flüssigkeit aus der Manschette in den Ballon transportiert und gibt dadurch die Harnröhre/Blasenhals frei, so dass die Blase entleert werden kann. Das erneute Füllen der Manschette geschieht automatisch. Voroperationen (wie Blasenhalsverschluss und Harnröhrenrekonstruktion) erschweren die Anlage eines solchen Schließmuskels oder machen sie sogar gänzlich unmöglich, so dass bei Patienten mit Blasenekstrophie dieses Verfahren nur in Einzelfällen zur Anwendung kommt.